Statt Protest: Was steckt hinter Pro-Palästina-Tänzen?

Pro-Palästina-Proteste werden oft verboten. Als Ersatz wird in Berlin getanzt. Doch sind die spontanen Kundgebungen gänzlich harmlos?

Berlin. Der Markt am Hermannplatz wird schon abgebaut, da tauchen plötzlich mehrere Personen mit schwarz-weißen Palästinenser-Schals auf. „Was ist hier denn los?“, fragt ein Fischhändler. „Spontaner Protest pro Palästina“, raunt jemand, „stand auf Social Media.“ Die Anwesenden, ein gutes Dutzend eher jüngerer Menschen, sagen auf Nachfrage, sie stünden zufällig hier, teils mit Kameras. Bis die Polizei in ähnlicher Truppstärke herbeimarschiert. Nach Rücksprache mit dem mutmaßlichen Anführer des Protests darf die Spontanversammlung stattfinden, mit Box und Musik tanzen schließlich bis zu 70 Menschen mit.

Es ist eine neue Art von propalästinensischem Protest, die derzeit in Berlin zu beobachten ist. Wie in der Eingangsszene am Montag in Neukölln, am kommenden Sonnabend wohl wieder am Hermannplatz. Dort ist eine „Demonstration für das Grundrecht auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit zum 75. Jahrestag der Nakba“ angemeldet. Falls die verboten wird, solle stattdessen getanzt werden, heißt es in Aufrufen.
Demonstrationen werden oft verboten

Nakba, arabisch für „Katastrophe“, nennen Palästinenser die Flucht und Vertreibung von etwa 700.000 Menschen im Zuge der Staatsgründung Israels 1948. Um den Jahrestag 15. Mai herum kommt es in Berlin immer wieder zu Kundgebungen mit Vorfällen. Ein sensibles Thema. Erst Anfang April hatten „Tod den Juden“-Rufe bei einer Demo in Kreuzberg und Neukölln national und international für Empörung gesorgt.

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Auch um solche Vorfälle zu verhindern, werden manche Demonstrationen von vornherein verboten, etwa vergangenes Wochenende oder im Vorjahr am 15. Mai. Das empört wiederum die arabische Community. Zwei propalästinensische Gruppen klagen nun am Verwaltungsgericht Berlin gegen die Verbote im Vorjahr. Vertreten werden sie von Ahmed Abed, Rechtsanwalt und Fraktionsvorsitzender der Linke Neukölln.

Arabischer Volkstanz als Ersatz-Protest

Die Versammlungsbehörde der Polizei verweise bei Verboten meist auf Vorfälle bei früheren Demos, sagt Abed. „Solche Begründungen sind von Vorurteilen gegen Muslime und Palästinenser geprägt.“ Man warte noch ab, ob die Demonstration am Sonnabend auf dem Hermannplatz verboten wird. „Meist teilt die Polizei diese Verbote kurzfristig mit, um Rechtsmittel und gerichtliche Überprüfung zu erschweren.“

Auf Nachfrage teilt die Polizei mit, dass die Versammlungsbehörde jede Demonstration einzeln prüfe. Prognosen, was verboten werde, könne man nicht abgeben, aber ein Herauszögern wäre rechtswidrig. Für Sonnabend ruft eine Kampagne namens „Nakba75“ bereits auf: „Sie verbieten, wir tanzen Dabke.“ Der arabische Volkstanz solle in Gruppen ab fünf Personen öffentlich aufgeführt werden, ist im Netz zu lesen.

Problematisch sind mitunter Leute im Hintergrund

Von Tanz-Demos ist Anwalt Abed nichts bekannt, „aber es gibt verschiedene kreative Protestformen.“ Das Tanzen im öffentlichen Raum sei seiner Meinung nach nicht verboten, es gelte die Kunstfreiheit. Die Polizei sagt, es sei eine Definitionsfrage, was Spontanversammlung, Tanz oder politische Aussage sei. Die Versammlung am Montag wurde jedenfalls nicht abgebrochen, Beamte standen begleitend dabei.

Nun könnte man das ganze als kreative Protestform abtun, aber das Problem ist komplexer, wie so oft wenn es um den Israel-Palästina-Konflikt geht. Problematisch sind dabei nicht Leute, die spontan tanzen, „sondern mitunter die Akteure und Organisatoren im Hintergrund“, sagt Grischa Stanjek vom Verein Democ, der die antisemitischen Demo-Rufe Anfang April dokumentiert und auf Twitter angemahnt hatte.

Es wird mit Inszenierung gearbeitet

„Es ist manchmal schwer zu erkennen, wer zu Protesten aufruft und mit welcher Absicht“, sagt Stanjek. Nach der Erfahrung von Democ untersage die Polizei nicht pauschal Demos. In Verbotsverfügungen werde auf Anmelder verwiesen. „Gerade deshalb überrascht es uns, dass oft dieselben szenebekannten Personen als Anmelder solcher Demos auftreten“, sagt Stanjek. Offenbar, so wirkt es, geht es auch um Inszenierung.

Wer hinter dem Tanzaufruf stecke, wisse man nicht, man habe ihn nur geteilt, teilt die Kampagne Nakbar75 mit. Vor der Tanzdemo am Montag auf dem Hermannplatz erklärt der mutmaßliche Anführer des Protests, er heiße Nazir Haddad, er stehe hier als Individuum und ohne Organisation, das sei eine spontane Aktion. Laut einem Artikel der „Berliner Zeitung“ ist Nazir Haddad aber Demo-Organisator bei „Palästina spricht“.
Individuum oder Organisation?

Die Organisation hat bereits verbotene Demos angemeldet. Auf Anfrage bestreitet „Palästina spricht“ nicht, dass Nazir Haddad ein Mitglied ist, teilt nur mit: „Spontankundgebungen sind nicht Teil unserer Planung. Aber jedes Individuum hat das Recht dazu.“ Das ist es. Aber es lohnt sich mitunter zu fragen, wer da tanzt.

passiert am 16.05.2023